Dienstag, 6. August 2013

Bewegungsparcours oder Rollator-Parkplatz?

Draußen ist cool. Seit Jahren boomt alles, was draußen stattfindet.

Generationsübergreifender Aktivpark
(Foto: Playground@Landscape/Fotalia)

Bis zur Mitte des Jahrhunderts wird sich der Anteil derer im Rentenalter mehr als verdoppeln, wie aus einem Bericht der Vereinten Nationen hervorgeht. Daraus resultiert ein wesentlicher Fakt: Mehr Bewegungsangebote für die gesamte Bevölkerung, auch im öffentlichen Raum. Kommunale Entscheider, Landschafsarchitekten und Hersteller sind aufgerufen, Lösungsansätze zu entwickeln.

Kreative Namen - derselbe Zweck

Generations­über­greifender Aktivpark oder Generationen­park, Garten der Generationen oder Senioren­fitness­platz, Spielplatz für Erwachsene oder Senioren­spielplätze, Mehr­generationen­platz oder Bewegungs­platz für alle Alters­gruppen, Mehr­generationen­park oder Mehr­generationen­spiel­plätze, ob Aktions-Parcours oder Bewegungs­garten, Fitness­garten oder Bewegungs-Parcours, Vita­parcours oder Outdoor-Fitness Garten – die Namens­findung stößt schon auf Kreativität, aber alle sind ein Platz der Gesundheit und Prävention.

Generationenpark in Lengerich

In der Kommune Lengerich ist der Generationenpark durch die Vielseitigkeit des Angebotes ein Selbstläufer und es sind zu jeder Tageszeit zwischen 20 und 100 Besucher anzutreffen. Wilhelm Möhrke (Stadtmarketingverein „Offensive“) verspricht, trotz der Einweihung des Generationenparks weiter an dem Konzept zu feilen. „Wir werden die Bevölkerung fragen, was gewollt ist und den Generationenpark entsprechend ergänzen“, verrät er. „Sobald weitere Spenden eingegangen sind, können sicher auch weitere Ausstattungen vorgenommen werden. Der Park soll weiter wachsen.

Wenn publik wird, worin der Nutzen eines Generationenparks besteht, kann keine Kommune auf Dauer darauf verzichten. Generationenparks sind ein kleiner, aber wichtiger Mosaikstein in dem Bemühen, gesellschaftliche Antworten auf die demografische Entwicklung zu finden“, so Möhrke weiter. Lengerich ist ein gutes Beispiel, weil über physiotherapeutische Praxen, dem Stadtmarketingverein bis hin zu Seniorenvereinen, Sportvereinen, Jugendgruppen eine ganze Stadt in das Projekt eingebunden war und ist.

Bewegungspark in Geisenfeld

Ebenso in Geisenfeld. „Fehlende Angebote seine Beweglich- und Leistungsfähigkeit zu testen bzw. steigern, ohne eine Verbindlichkeit einzugehen, nahm ein kleines ehrenamtliches Team im Jahre 2008 zum Anlass ein entsprechendes Bewegungsareal zu realisieren. Unser Projekt “Bewegungspark an der Ilm“, das 2010 der Öffentlichkeit übergeben wurde, liegt zentral mitten im Sport- und Schulgelände und unmittelbar am überregionalen Ilmtalradwanderweg, ist frei zugänglich und kann zeitlich unabhängig von unseren Mitbürgern und Gästen benutzt werden. Dieser Mehrgenerationen-Park, mit inzwischen 19 Trainings- und Spielgeräten, bietet Menschen jeden Alters, jeder Herkunft, Trainierten und Untrainierten eine Möglichkeit ihre Freizeit sinnvoll und gesundheitsorientiert zu gestalten. Für unsere Schulen und Kindergärten ist dieses Bewegungsangebot eine ideale Ergänzung zum Sportunterricht, da keine Vorbereitungszeit anfällt.

Die Finanzierung erfolgte dank des unermüdlichen Einsatzes des Teams zu zwei Drittel aus privaten Sach- und Geldmittel und einem Drittel aus öffentlichen Mitteln. Das benötigte Grundstück wurde von der Stadt kostenlos zur Verfügung gestellt. Ausstattung und Lage unseres Bewegungsparks, sowie die Einbindung der Schulen, Kindergärten und Sportvereinen sind die wesentlichen Faktoren, die auch nach drei Jahren eine hohe Akzeptanz in der Bevölkerung gewährleisten. Weitere Bewegungsareale in dieser Form sind in unserer Stadt, aufgrund unserer Einwohnerzahl, bis auf weiteres nicht geplant“, sagte Herbert Eifertinger von der Stadt Geisenfeld. Die Stadt Geisenfeld hat erkannt, dass es gesundheitspolitisch der richtige Weg ist, Fitness zu fördern.

Planung

Sicherlich gibt es auch „Bürgermeister-Gedächtnis-Areale“, wenn kurz vor der Wahl auf der freien Wiese ein trendiger „Seniorenspielplatz“ realisiert wird. Langfristige Planung ist daher ein entscheidender Faktor für die Akzeptanz in der Kommune.

Norman Riede, riede landschaftsarchitektur: „Von Notwendigkeit und Nutzen körperlicher Bewegung muss heute niemand mehr überzeugt werden, allein die Umsetzung lässt noch zu wünschen übrig. Eine Mitgliedschaft in Sportverein oder Fitness-Studios fördert die sportliche Aktivität, ist aber nicht von jedermann gewollt oder möglich. Hier können kommunale Angebote einen guten Ersatz oder Ergänzung bieten, denn sie sind kostenlos, unter freiem Himmel, beliebig oft und zu beliebigen Zeiten zugänglich und ohne Vereinszugehörigkeit oder Anmeldung nutzbar.

Seit Jahren sind zahlreiche Anlagen in Betrieb genommen worden. Dabei fallen Akzeptanz und Nutzungsgrad durch die Bevölkerung sehr unterschiedlich aus und bleiben vielfach hinter den Erwartungen zurück. Diese Feststellung schmerzt – nicht nur wegen der getätigten Investition sondern auch wegen der verpassten Chance. Was macht nun den Erfolg von hoch frequentierten Anlagen aus? Hier gibt es zwei wesentliche Kriterien: Die Qualität der Bewegungs-Angebote und die Qualität des gewählten Standortes.

Qualität der Angebote im Sinne von passend, durchdacht, abgestimmt – aber auch ergonomisch, für ernsthaftes Training nutzbar und optisch ansprechend. Qualität des Standortes im Sinne von bewegungsaffinem Umfeld, hochwertiger Grünanlage mit wechselsonnigen Bereichen in gut wahrnehmbarer Lage. Hierfür ist es hilfreich, für die Anlage eine Haupt-Zielgruppe einzugrenzen und diese an der Planung zu beteiligen. Die geplante Geräteauswahl sollte kritisch und fachkundig begutachtet oder gar selbst getestet werden. Unter diesen Voraussetzungen lassen sich sinnvolle und gut genutzte Bewegungsangebote verwirklichen.“

Jobst Seeger, Landschaftsarchitekt: „Spielplätze sind in Deutschland fest im Baurecht verankert, öffentliche Sportanlagen sind fester Bestandteil jeder Kommune. Doch die Bevölkerung verändert sich, Kinder spielen mehr am PC, Erwachsene trainieren aus den unterschiedlichsten Gründen eher im Fitnessstudio, als im Sportverein. Den Wandel der Bevölkerung zu berücksichtigen ist Aufgabe der Politik, wir als Planer können dazu einen erheblichen Beitrag leisten. Die zunehmende Zahl an Menschen über 60 und derer, die sich entweder aus finanziellen oder zeitlichen Gründen eine Teilnahme an Trainingsangeboten der Vereine nicht leisten können, verlangt von allen Planern und Politikern ein deutliches Umdenken. Wir planen attraktive Spielplätze, die den Verlust des natürlichen Bewegungsraumes unserer Kinder ersetzen sollen, so müssen wir auch Parcours planen, die den Wünschen der Generationen entsprechen.

Für Kommunen ist ein breites Angebot an Sportarten und –möglichkeiten ein wichtiger Standortfaktor. Hier zählen Outdoor-Fitnessanlagen in der Zwischenzeit zu den begehrtesten und mit überschaubaren Mitteln realisierbaren Möglichkeiten.

Dabei spielt das Thema „generationenübergreifend“ nur eine untergeordnete Rolle und wird häufig viel zu theoretisch gesehen. Wer seinen Körper fit halten will, der tut es, egal wie wir die Anlage nennen. Ganz klar spielt die Auswahl der Geräte für die Hauptzielgruppe eine große Rolle. Jedoch kann man eine Nutzergruppe nicht von einer öffentlichen Anlage ausschließen. Durch eine fundierte Standort- und die entsprechende Geräteauswahl wird eine bestimmte Zielgruppe stärker angesprochen oder ein breites Angebot geschaffen.

In Deutschland wird es in den nächsten Jahren keine „Chinesischen-Zustände“, was das Angebot an Outdoor-Fitness-Parcours angeht, geben, aber das Angebot wird steigen. Eine baurechtliche Verankerung von Fitness-Parcours halte ich nicht für Ziel führend, eher eine großzügigere Definition was auf Spielplätzen möglich ist, zum Beispiel Fitnessangebote.“

Erprobte Wissenschaft

Planung. Nutzung. Standort. Was ist das schönste Bewegungsareal wert, wenn die verkehrstechnische Anbindung fehlt. Oder keine Stadtmöbel vorhanden sind. Oder keine Toilette in der Nähe. Mehrgenerationenplatz oder Trimm-Dich-Pfad, Bewegungs-Parcours – wer ist was? Fragen suchen Antworten, aber ein gesundheitsbewusstes Leben hat entscheidenden Einfluss auf das Wohlbefinden und die Lebensqualität im Alter. Insbesondere ausreichende Bewegung ist unverzichtbar, um körperlich wie geistig mobil zu bleiben. Bewegung kann, wie medizinische Studien zeigen, eine entscheidende Antwort auf viele der häufigen Alterserkrankungen sein. In einer älter werdenden Gesellschaft kommt es daher ganz wesentlich darauf an, sinnvolle Angebote der gesundheitlichen Prävention und insbesondere der Bewegungsförderung für Seniorinnen und Senioren bereitzustellen.

Die Hessische Landesregierung hat deshalb vom Sommer 2011 an in Hanau und Darmstadt Bewegungsparcours für ältere Menschen modellhaft erprobt. Gemeinsam mit dem Landessportbund Hessen, der Goethe-Universität Frankfurt am Main, der Fachhochschule Darmstadt und der Fachhochschule Rhein-Main Wiesbaden sowie den Unternehmen Playfit und Playparc wurde der gesundheitliche Effekt der Parcours mit Testgruppen geprüft. Die von den Hochschulen erhobenen Ergebnisse waren überaus positiv. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer berichteten von neu gewonnener Bewegungsfähigkeit, mehr Sicherheit im Alltag und mehr Lebensfreude durch den Kontakt in der Gruppe. Die Nutzung der Geräte unterstützte die Stärkung des Kreislaufs, die Koordination und Beweglichkeit. Die Parcours wurden überdies zu gern besuchten Treffpunkten in der Kommune.

Zahlreiche Städte und Gemeinden in Hessen haben sich mittlerweile auf den Weg gemacht, ebenfalls solche Angebote für Seniorinnen und Senioren aufzubauen. Häufig wurden dabei das Sozialministerium und die beiden Testkommunen um Rat gefragt. Deshalb wurde im Rahmen der „Seniorenpolitischen Initiative“ in Zusammenarbeit mit allen Partnern des Modellversuchs ein Leitfaden entwickelt, der zum Ziel hat, Kommunen und andere Interessierte wie Verbände, Vereine, Krankenkassen oder Unternehmen mit praktischen Hinweisen bei der Einrichtung und Nutzung von Bewegungsparcours zu unterstützen: „Bewegung für Gesundheit im Alter – Leitfaden für die Errichtung von Bewegungsparcours“. Der Leitfaden ist im Internet abrufbar.

Untersuchungen in Parkanlagen in Wien

Zwischen 2009 und 2011 haben Sportwissenschaftlerinnen und Landschaftsplanerinnen in Wien gemeinsam in einem Forschungs- und Aktivierungsprojekt untersucht, wer die Bewegungsgeräte in fünf Parkanlagen nutzt und wie das Angebot für die Zielgruppe 60+ attraktiver gestaltet werden kann. Das Projekt mit dem Namen „Gemma raus! Gesundheitsfördernde MitMachAktionen für ältere Frauen und Männer in Bewegungsparks“ wurde gefördert aus Mitteln des Fonds Gesundes Österreich, des Österreichischen Sportministeriums und der Stadt Wien. Beobachtungen, Focusgruppen, Bewegungsanleitungen und MultiplikatorInnenausbildungen zeigten sehr deutlich, dass es für viele Menschen der älteren Generationen einige Hemmschwellen zu überwinden gilt, diese neuen Angebote zu nutzen.

„Grundsätzlich trifft dieses Angebot auf eine wachsende Nachfrage, zeigen doch internationale Studien zur Bewegungsaktivität älterer Menschen, dass die derzeitige Generation 60+ sich vorwiegend in selbstorganisierter Form und am liebsten im Freien bewegt. Der Bedarf ist gegeben. Aber momentan brauchen die Bewegungsangebote noch eine spezifischere, an den Ort und seine NutzerInnen angepasste Planung sowie begleitende Maßnahmen. Kurz gesagt: ein sauberes WC, ein Trinkbrunnen, etwas Schatten und angenehme Tische und Bänke gehören zu einem attraktiven Umfeld und verhindern den Ausschluss von Menschen, die auf diese Ausstattung angewiesen sind. Die Anleitungen in einer offenen Gruppe zu einer bestimmten Zeit mit geschulten TrainerInnen wurden in Wien sehr gerne angenommen und haben viele der genannten Barrieren abbauen können. Leichte Aufwärmübungen und gemeinsame Spiele, eine kompetente Antwort auf die Frage „kann ich mit meiner operierten Hüfte auf diesen Air-Walker“ und gemeinsames Lachen über die Bemerkung eines Hortkindes am Pedalo „schaut, jetzt will die Alte fahren“, machen vieles möglich, was Mann oder Frau alleine nicht einmal ausprobieren möchte“, weiß DI Rita Mayrhofer von tilia Technisches Büro für Landschaftsplanung Wien, die das Projekt begleitet hat, zu berichten.

Fazit

Erfolgsfaktor Planung und Standort. Bewegungs-Parcours, Trimm-Dich-Pfad oder Mehrgenerationen-Platz? Eine Standort-Analyse ist wichtig, denn auch auf die Auswahl der Geräte kommt es an. Nicht zu vergessen die Sicherheits-Aspekte Wartung, Pflege und Prüfintervalle. Steffen Strasser, Obmann der neuen Vereinigung „Fitnessgeräte im Außenberiech“ innerhalb des Bundesverbandes für Spielplatzgeräte- und Freizeitanlagen-Hersteller e.V. (BSFH): „Wir sehen, dass sich das Bedürfnis der Menschen, sich im öffentlichen Raum zu bewegen, in den letzten Jahren stark zugenommen hat. Leider hat es dabei auch Entwicklungen gegeben, die nicht immer gut waren. Als Untergruppe des BSFH ist es uns wichtig, dass die entstehenden Bewegungsräume qualitativ gut geplant und ausgestattet werden. Wir wollen als Informationsforum dienen, für kommunale Entscheider und Landschaftsarchitekten. Fragen an uns erwünscht!“

Quelle: Thomas R. Müller • Bewegungsparcours oder Rollator-Parkplatz? • Playground@Landscape (Internationales Fachmagazin für Spiel-, Sport- und Freizeitanlagen) • 2014, Ausgabe 4, Seiten 16-30
PDF "Playground@Landscape, Ausgabe 4/2013"


Dieser Artikel wurde von Playground+Landscape Verlag veröffentlicht und ist unter http://playground-landscape.com/de/article/view/1306.html abrufbar.

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