Dienstag, 29. Mai 2012

Geistesblitze erfordern Ablenkung

Kreativität entsteht durch Schweifenlassen der Gedanken

Zündende Idee: Gehirn braucht Zerstreuung
(Foto: pixelio.de/Hofschläger)

Santa Barbara/Heidelberg (pte004/29.05.2012/06:15) - Wer schon tagelang an einem Problem grübelt, sollte sich besser ablenken: Nicht durch angestrengtes Nachdenken, sondern durch Zerstreuung werden Kreativität und Aha-Erlebnisse möglich. Das berichten Forscher der University of California in Santa Barbara in der Zeitschrift "Psychological Science". Vermeintlich zeitverschwendende Ablenkung soll kreatives Denken ähnlich gut fördern wie der REM-Schlaf - und nicht zuletzt Geistesgrößen wie Archimedes, Newton oder Einstein zu ihren bahnbrechenden Erkenntnissen und "Heureka"-Ausrufen verholfen haben.

Verwendung eines Zahnstochers

Getestet wurden 145 Studenten, denen die Forscher Wörter von Alltagsgegenständen - Zahnstocher, Kleiderbügel oder Ziegelstein etwa - vorlegten. Ihre Aufgabe lautete, in zwei Minuten möglichst viele unübliche Verwendungsformen dafür zu notieren. Dann gab es für manche Studenten zwölf Minuten Pause, anderen stellte man eine die volle Aufmerksamkeit beanspruchende Aufgabe. Eine weitere Gruppe sah in dieser Zeit Zahlen und sollte bloß beurteilen, ob diese gerade oder ungerade warem. Man weiß, dass diese stark unterfordernde Übung Tagträume auslöst. Die vierte Gruppe machte keine Pause.

Anschließend wurde in einem zweiten Durchgang die Anfangsaufgabe wiederholt, und zwar mit den ursprünglichen als auch mit neuen Objekten. Einzig nach den Tagträumen brachte dieser zweite Anlauf Verbesserungen, und zwar gleich um 41 Prozent. Das traf allerdings nur auf die Aufgaben zu, bei denen Objekte zum zweiten Mal gezeigt wurden, nicht bei völlig neuen Gegenständen. "Seine Gedanken schweifen lassen, hilft also nur bei Problemen, mit denen man sich schon zuvor beschäftigt hat. Einen grundsätzlichen Anstieg an kreativer Problemlösungskompetenz bringt es nicht", sagt Studienleiter Benjamin Baird.

Gedächtnis wichtig

"In der modernen Neuropsychologie heißt dieser Effekt 'Random episodic silent thinking' (Rest)", berichtet der Heidelberger Psychologe Rainer Holm-Hadulla im pressetext-Interview. Das Gehirn träumt dabei still vor sich hin und erlaubt den einzelnen Arealen, im Austausch neue Assoziationen herzustellen statt sie zur Bearbeitung konkreter Aufgaben zu drängen. Damit dieses Kombinieren und intuitive Denken anspringt, muss man die Konzentration abstellen. "Vorbedingung ist aber auch, dass die Inhalte bereits im Gedächtnis abgespeichert sind. Es reicht nicht, sie bloß bei Bedarf im Internet zu finden", so der Kreativitätsforscher.

Ausflug in die Unmöglichkeit

Für die konkrete Umsetzung rät der Psychologe Harald Braem, das lineare Denken abzustellen und mit Unmöglichem zu spielen: "Das ist etwa der Gedanke von 1 + 1 = 3, eine imaginäre Weltraumreise, die Frage, wie ein neues Auto wohl tanzen würde, wenn es ein Tier wäre, oder die Aufgabe, beim Zeichnen die Vorlage auf den Kopf zu stellen und statt Figuren deren Zwischenräume abzuzeichnen." Musik, jedoch auch Farben sind hilfreich: "Besonders die Blaupalette lässt uns wegfliehen und weckt Sehnsucht. Nicht umsonst zog es Goethe oft zum Meer und viele merken nach einem Urlaub mit Fliegen, Schwimmen oder Seefahrt Veränderung."

Wenngleich das Marketing mit diesen Methoden ständig spielt, belastet der heutige Zeitgeist meist nur die linke, "digitale" Gehirnhälfte, die für Logik und Sprache zuständig ist. Die rechte Hemisphäre, in der etwa Gefühle, Intuition und Kreativität verortet sind, wird hingegen meist vernachlässigt und verkümmert, worin Braem einen Mitauslöser für aktuelle Probleme wie Depressionen und Burnout erkennt. "Um Kreativität zu wecken, braucht es Ausgleich zwischen links und rechts, den durch ein derartiges Gedankenwandern gefördert wird. Kreative haben den Corpus callosum, das Bindeglied der Gehirnhälften, messbar stärker aktiviert als andere", berichtet Braem gegenüber pressetext.


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Mittwoch, 9. Mai 2012

Unbewusstes Wissen wirkt bewusst

Auch unbewusste Erfahrungen leiten unsere Entscheidungen

Gehirn: Hirnaktivierung im Hippokampus
(Foto: CCLM, Universität Bern)

Bern (pte033/09.05.2012/16:30) - Unsere Ent­scheidungen werden auch von unbewussten Gedanken beeinflusst. Das haben der Berner Psychologe Thomas Reber und sein Team an der Universität Bern herausgefunden. Die unbewussten Abläufe laufen demnach ohne unser Wissen im Bewusstsein ab. Bisher wurden in der Psychologie bewusste und unbewusste Entscheidungen unterschiedlich einge­schätzt. "Eine neuere Theorie würde nicht mehr unterscheiden zwischen bewussten und unbewussten Gedächnissystemen", sagt Reber gegenüber pressetext.

Hippokampus speichert Unbewusstes

Die Forscher des Centers for Learning, Memory and Cognition konnten zeigen, dass unbewusst erlebte Situationen auch unbewusst analysiert, miteinander verglichen und abgespeichert werden. Das unbewusst erworbene Wissen kann sogar in bewusst erlebten Situationen wieder hervorgeholt werden. Unbewusstes Wissen beeinflusst unser Entscheidungsverhalten ebenso wie bewusstes Wissen.

Das bewusste Gedächtnissystem, der Hippokampus, ermöglicht komplexes Lernen und Erinnern. Die Wissenschaftler machten ein Gedächtnis-Experiment mit Versuchspersonen. Den Probanden wurden verschiedene Situationen dargestellt: "Wir sehen unseren jungen Nachbarn in einem neuen Sportwagen vorbeirauschen. Später sehen wir einen uns unbekannten älteren Herrn am Steuer desselben Sportwagens sitzen", lautet etwa eine Beschreibung innerhalb des Experiments.

Gängige Gedächtnistheorien erweiterbar

Die Versuchspersonen verbinden im Gedächtnis diese beiden Situationen - das passiert bewusst. Deswegen reagieren die Probanden nicht überrascht, wenn der "Nachbar" später neben dem älteren Herrn im Kino sitzt. In dieser Weise wirken bewusst erinnerte Situationen auf unser bewusstes Verhalten. Nun kann das Ganze auch unbewusst ablaufen - aber dennoch unser bewusstes Verhalten beeinflussen. Dafür zeigten die Experten den Versuchspersonen die Situation "Nachbar im neuen Sportwagen" und "Nachbar mit älterem Herren" nur unterschwellig.

Das Bild wird den Versuchspersonen nur in einigen Tausendstel einer Sekunde gezeigt. Dadurch konnten die Probanden die Situationen nur unbewusst erfassen. Die Situation "Nachbar mit älterem Herren im Kino" wurde hingegen normal lange gezeigt. Diese Situtation verlangte von den Versuchspersonen eine bewusste Entscheidung. Die Situation wurde bewusst und unbewusst gleich beurteilt. "Diese Ergebnisse erweitern gängige Gedächtnistheorien und relativieren die Bedeutung des Bewusstseins beim Lernen", meint Reber.


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Samstag, 5. Mai 2012

Intel will Smartphone mit Gehirn verbinden

Direktzugriff des Hirns auf Internet angekündigt - Mediziner skeptisch

Gehirn: laut Technikern bald mit Mobiltechnik angeschlossen
(Foto: Flickr/Purdy)

Santa Clara/Bamberg (pte001/05.05.2012/06:00) - Die Grenze zwischen Mensch und mobiler Technik verschwindet bald völlig, sagt der Chiphersteller Intel. "Die Konvergenz schreitet voran und die direkte Verbindung mobiler Technologien mit dem Körper ist der logische nächste Schritt. Unser biologisches Gehirn lässt sich durch ein digitales Gegenstück wie etwa mobile Endgeräte exponentiell erweitern", behaupten Consulter von Booz Allen Hamilton, die für Intel ein entsprechendes Weißbuch erstellt haben. Hirnforscher schütteln allerdings den Kopf und bezeichnen die Vision gegenüber pressetext als "Wunschdenken".

Gedanken in Echtzeit posten

Sobald Gedanken nahtlos in die Cloud und umgekehrt auch Daten in Echtzeit auf das Sehfeld übertragen werden, verwandeln sich Körper und Gehirn in Geräte mit allen damit verbundenen Vorteilen, sagen die Autoren. Das könnte bedeuten, ständig mit dem Internet verbunden zu sein, nie mehr einen Namen oder einen Termin zu vergessen, aber auch keine Routineuntersuchungen mehr beim Arzt zu benötigen, da Gesundheitsdaten ohnehin laufend von Sensortechnik erhoben und ausgewertet werden.

Forschung läuft

Völlig aus der Luft gegriffen sind solche Prognosen nicht, urteilt CNN-Blogger David Goldman, da längst an der Überwindung der denkbaren Hürden geforscht wird: Microsoft tüftelt am Betriebssystem für alle Geräte, IBM macht mit seinem Watson-Projekt Fortschritte bei natürlicher Spracherkennung. Neuesten Smartphones genügt das Gesicht des Nutzers zur Identifizierung, und sowohl Google als auch Microsoft arbeiten an Brillendisplays. Freilich stellt die Handhabung noch eine Bremse dar: Alle am Computer erledigte Arbeit sollte auch am Smartphone oder künftig sogar per Brille erledigt werden können.

Doch wo viel Licht, ist auch viel Schatten: Goldman nennt etwa den Datenschutz, für den es schon in der Facebook-Gegenwart keine richtige Lösung gibt. Prüfungen müssten für Cyborg-Gehirne völlig anders aussehen. Richtig knifflig sei jedoch die Frage, ob die Vernetzung etwa zu Sicherheitszwecken noch abgeschaltet werden kann, sobald sich jeder völlig auf sie verlässt. Laut Intel kommt das Smartphone-Hirn aber so oder so: "Die Zukunft ist nie sicher. Täglich wird es jedoch glaubwürdiger, dass Menschen bald mit Mobiltechnik durchdrungen sind, dass Körper und Gehirn Teil der Geräte werden und Leistungsgrenzen verschwinden."

Wissen über Gehirn fehlt

Mediziner sehen die Cyborg-Visionen freilich anders als Technologen. "Sollte auch die Technik einmal so weit sein, wird dennoch die Umsetzung nicht gelingen. Was fehlt, ist Wissen über unser Gehirn", betont Thomas Grüter, Autor des Buches "Klüger als wir? Auf dem Weg zur Hyperintelligenz" (siehe: http://pressetext.com/news/20111129005). Die erforderliche Schnittstelle sei aus Sicht der Gehirnforschung ein Ding der Unmöglichkeit, zudem sind die Anforderungen an derartige Geräte, keine Gewebsreaktionen oder Infektionen auszulösen, auch ernste medizinisch Probleme. "Die Risiken einer Gehirnoperation wären kaum verantwortbar", betont Grüter.

Als "Wunschdenken" enttarnt der Intelligenzforscher die Ankündigung Intels, die Leistung des Gehirns exponentiell zu steigern. "Die früher verbreitete Aussage, der Mensch nutze nur zehn Prozent seines Gehirns, ist längst widerlegt. Wir nutzen unser Gehirn schon heute voll aus. Mehr Informationen als jene, die wir bereits heute durch unsere Sinnesorgane aufnehmen, werden wir auch künftig nicht verarbeiten können."


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