Dienstag, 21. August 2012

Gedankensteuerung: Interface hackt Gehirn

Forscher extrahieren Informationen wie Pin-Codes aus Köpfen

Hirn durchleuchtet: Informationen nicht sicher
(Foto: pixelio.de, Dieter Schütz)

Bellevue (pte025/21.08.2012/13:55) - Wissenschaftler haben einen Weg gefunden, Gedankensteuerungs-Interfaces dazu zu verwenden, Informationen aus den Gehirnen von Probanden zu extrahieren. Forscher der Universitäten Oxford, Kalifornien und Genf haben gezeigt, dass Daten wie Pin-Codes gefunden werden können, indem den Versuchspersonen passende Bilder gezeigt werden, während sie Elektroden auf dem Kopf tragen. Bei bekannten Bildern verrät das Gehirn sich durch spezifische Signale. Das Verfahren ist bei weitem noch nicht perfekt, aber in 20 Prozent der Fälle konnte ein vierstelliger Pin-Code im ersten Versuch erraten werden.

Ihre Ergebnisse haben die Forscher bei der USENIX-Konferenz in Bellevue in den USA präsentiert. "Der Versuchsaufbau ist einfach nachvollziehbar. Haben die Probanden Assoziationen zu den gezeigten Bildern, entsteht im Hirn ein anderes Signal. Das evozierte Potenzial kann über die Elektroden abgelesen werden", sagt ein Experte gegenüber pressetext.

Geburtsmonat

Beim Erraten des Geburtsmonats der Versuchspersonen betrug die Erfolgsquote im ersten Anlauf sogar beinahe 60 Prozent. Hier wurden die Probanden via Bildschirm gefragt, in welchem Monat sie Geburtstag haben. Anschließend wurden in zufälliger Reihenfolge die Monatsnamen kurz eingeblendet und nach den verräterischen Hirnströmen gesucht. Mit ähnlichen Versuchsanordnungen haben die Wissenschaftler auch den Wohnort und den Namen der Bank, bei der die jeweilige Versuchsperson Kunde ist, zu erraten versucht. Hier liegen die Erfolgsquoten zwischen 20 und 30 Prozent. "Mit implantierten Elektroden könnte die räumliche Auflösung noch deutlich erhöht werden", so der Fachmann.

In einem weiteren Versuch wurde getestet, ob sich feststellen lässt, welche Gesichter in einer Reihe von Fotos den Probanden bekannt sind. "Um Gedankenlesen handelt es sich hierbei nicht. Eine Erfolgsquote von 30 Prozent ist relativ bescheiden", so der Spezialist. Die Forscher haben aber bewiesen, dass ihre Methode gegenüber zufälligem Raten eine 15 bis 40 Prozent erhöhte Erfolgswahrscheinlichkeit aufweist. Das Signal, auf das sich die Forscher konzentrieren, heißt P300. Zur Kalibrierung des Neuro-Interfaces mussten die Probanden einige Testläufe mit Bildern von Ziffern machen. So konnten die Forscher ihre Apparaturen auf die individuellen Hirne einstellen.

Künftige Sicherheitslücke

Mit ihrer Arbeit wollen die Wissenschaftler darauf hinweisen, dass Gedankensteuerungs-Interfaces, die sich unter anderem unter Videospielern immer größerer Beliebtheit erfreuen, ein Sicherheitsrisiko darstellen. "Solche Interfaces haben für Computerspiele sicher großes Potenzial, der eigentliche Nutzen liegt aber in der Medizin, wo vielen Patienten geholfen werden kann", sagt der Experte.

Die Wissenschaftler haben für ihre Experimente eine kommerziell erhältliche Elektrodenhaube verwendet. Die Geräte kosten mittlerweile nur noch um die 200 Euro. Über die Programmierschnittstellen können die gemessenen Hirnstrom-Daten praktisch beliebig verwendet werden. Mit cleveren Tricks könnten sich Außenstehende auf diesem Weg sensible Informationen aus den Köpfen der User holen.


Dieser Artikel wurde von pressetext.austria veröffentlicht und ist unter http://www.pressetext.com/news/20120821025 abrufbar.

Samstag, 18. August 2012

Manfred Spitzer: ''Internet macht dumm''

Auslagerung des Denkens auf Maschinen schadet dem Gehirn

Spitzer: Mediennutzung auf Minimum reduzieren
(Foto: Privat)

Ulm (pte003/18.08.2012/06:10) - Unsere geistige Leistungsfähigkeit nimmt ab, weil wir zu häufig digitale Medien nutzen. Mit dieser Gesellschaftskritik lässt der renommierte Gehirnforscher Manfred Spitzer in seinem bei Droemer erschienenen Buch "Digitale Demenz - wie wir uns und unsere Kinder um den Verstand bringen" aufhorchen. Im pressetext-Interview legt der ärztliche Leiter der Psychiatrischen Universitätsklinik Ulm dar, wie Internet, Konsolen, Smartphones und Co das Gehirn schädigen.

pressetext: Praktisch jeder ist heute online, dank Smartphone sogar ständig. Sie machen eine Krankheit daraus und nehmen viel Gegenwind in Kauf. Wofür?

Spitzer: Ich pathologisiere nicht, sondern stelle fest: Wo es Wirkungen gibt, sind auch Risiken und Nebenwirkungen. Digitale Medien erledigen geistige Arbeit für uns und nehmen uns das Denken ab, ähnlich wie uns das Auto körperliche Arbeit abnimmt. Als Neurowissenschaftler weiß ich, dass man völlig ausschließen kann, dass das keine Auswirkungen auf das Gehirn hätte. Genauso wie unser Körper durch die passive Lebensweise nun auf Joggen und Fitness-Center angewiesen ist, ist auch das Gehirn ein dynamisches Organ, das bei ausbleibendem Input verfällt.

pressetext: Wo wird für Sie dieser Verfall sichtbar?

Spitzer: Google macht uns weis, dass es über jegliche Information verfügt, die man nur suchen muss. Studien belegen aber, dass jemand gegoogelte Inhalte mit geringerer Wahrscheinlichkeit im Gehirn abspeichert als jemand, der sie auf andere Weise sucht. Oder etwa bei der Orientierung: Wir lagern sie an das Navigationsgerät im Auto aus - und dürfen uns nicht wundern, dass wir selbst immer schlechter navigieren. Ähnliches gilt für Geburtstage, Telefonnummern, Kopfrechnen oder die Rechtschreibung. Passiert weniger im Gehirn, lernt man weniger, und die Gehirnwindungen bilden sich weniger aus.

pressetext: Aber was hat das mit Demenz zu tun?

Spitzer: Demenz heißt Abstieg. Steigt man von der Spitze eines Berges herab, so dauert das umso länger, je höher der Berg ist. Ebenso entscheidet sich auch der Zeitpunkt des Einsetzens einer Demenzerkrankung dadurch, wie gut die Bereiche des Gehirns zuvor durch die ständige Nutzung ausgebildet und trainiert wurden. Wer hier wenig hat, verliert es früher. Zudem beschleunigen die Medien den Abstieg: Indem Maschinen etwa Updates selbst vornehmen oder E-Mails, Postings und SMS sofortige Reaktion erfordern, sind wir nicht mehr Herr über unser Tun. Diese Kontrollabgabe führt zu Stress, der wiederum Nervenzellen im Gehirn absterben lässt.

pressetext: Computer, Internet und Smartphones nutzt heute jeder. Werden wir deshalb schon alle dement?

Spitzer: Die Bezeichnung "Digitale Demenz" haben Kollegen aus Korea 2007 zur Beschreibung eines Phänomens eingeführt, das sich seither noch zugespitzt hat: Junge Erwachsene konzentrieren sich immer weniger, merken sich nichts mehr, haben Probleme mit dem Lesen von Texten, sind müde und motivationslos und stumpfen emotional ab. Da die Betroffenen angaben, Computer und Internet exzessiv zu nutzen - Korea ist das Land mit der wahrscheinlich höchsten Mediatisierung überhaupt - haben die Ärzte einen kausalen Zusammenhang hergestellt.

pressetext: Drohen uns koreanische Verhältnisse?

Spitzer: In Koreas junger Generation sind heute zwölf Prozent internet- und computersüchtig, haben also ernste Probleme damit, längere Zeit offline zu gehen. In Deutschland laut dem Suchtbeauftragten der Bundesregierung drei bis vier Prozent, wobei 250.000 als süchtig und 1,4 Mio. als Risikofälle gelten. Das sind sehr viele junge Menschen, die am liebsten 18 Stunden pro Tag im Web wären und ihr Leben dabei nicht in Griff haben. Das ist schlimm für die Zukunft eines Landes und fatal für die Betroffenen selbst, wie ich aus entsprechenden Erfahrungen mit meinen Patienten gelernt habe.

pressetext: Wie wirkt sich das auf die Lebensführung aus?

Spitzer: Eine Stanford-Studie zeigt, dass acht- bis zwölfjährige Mädchen sieben Stunden pro Tag online sind, doch nur zwei Stunden mit anderen Mädchen realen Kontakt haben - im Schnitt! Bei uns verbringen Jugendliche täglich doppelt so viel Zeit mit Medien als mit dem gesamten Schulunterricht. Als Folge werden wir oberflächlicher, gehen Dingen weniger auf den Grund, zudem wuchern Aufmerksamkeitsstörungen und Vereinsamung, da direkte Sozialkontakte durch Social Media abnehmen. Längst keine Ausnahme mehr sind Pärchen im Restaurant, bei dem jeder per Smartphone twittert, wie toll doch das Rendevouz ist. Miteinander kommunizieren die beiden jedoch kaum - das Rendevouz findet gar nicht statt.

pressetext: Manche meistern den Umgang mit Medien also weniger gut als andere. Wer gehört zur Problemgruppe der Süchtigen?

Spitzer: Die üblichen Randgruppen aus prekären Verhältnissen leiden am meisten darunter, denn sie verbringen heute statistisch gesehen die höchste Stundenanzahl mit digitalen Medien. Das ist jedoch brisant: Medien bringen nicht den Ausgleich, wie oft behauptet wird, sondern verstärken bestehende Ungleichheiten und wirken dadurch unsozial statt sozial. Die Gesellschaft müsste dies dringend mehr reflektieren, denn sie hat bisher noch gar nicht gelernt, mit den resultierenden Problemen umzugehen, zu denen sich Studien aus der Neurowissenschaft längst häufen.

pressetext: Inwiefern ist die Politik für diese Erkenntnisse hellhörig?

Spitzer: Gar nicht, da sie eine unheilige Allianz mit den Medien eingegangen ist. Intendanten werden durch die Politik bestimmt und Politiker unterliegen den Medien dahingehend, dass kritische Einstellung zur medialen Ächtung führt. Enquetes laden ausschließlich Experten ein, die von Medienunternehmen-gesponserten Medieninstituten stammen. Das erklärt, warum sie dann empfehlen, dass jeder Schüler einen Laptop haben soll, obwohl wir wissen, dass der dem Lernen mehr schadet als nutzt. Dass ausgerechnet die Bundesanstalt für gesundheitliche Aufklärung die Playstation zur Förderung der Medienkompetenz empfiehlt ist ein Skandal, denn eine Playstation im Jugendzimmer verschlechtert die Schulnoten nachweislich. Ebenso skandalös ist die Verleihung eines hochdotierten Preises für ein Ballerspiel durch den Kulturstaatsminister.

pressetext: Wie wird man kompetent im Umgang mit Medien?

Spitzer: Der Vergleich mit dem Alkohol drängt sich auf: Nicht durch Einübung, sondern durch längstmögliches Fernhalten von ihm eignet man sich den gesündesten Umgang an. Dasselbe gilt für Medien: Sie erfordern ein Vorwissen an Fakten und Erfahrungen, das außerhalb der Medien entstand. Ein Kind sollte seine Umwelt nicht zuerst über Tablet und Smartphone ansehen, sondern sie selbst begreifen, fühlen, erleben und handeln. Die Motorik nimmt ein Drittel des Gehirnvolumens ein. Bewegt man nur die Maus, so wird dieses Drittel zum Lernen und später zum Denken nicht benutzt.

pressetext: Was sollte die Schule tun, was die Eltern?

Spitzer: Schulen sollten für gute Bildung sorgen, jedoch ohne digitalen Medien. In Kindergarten und Grundschule haben Computer und Internet nichts verloren. Statt in Laptopklassen sollten die Schulen lieber in Lehrer investieren, da Bildung Personen braucht, zu der eine Beziehung aufgebaut wird. Medienpädagogik ist etwa so sinnvoll wie Alkoholpädagogik - beides macht süchtig und brauchen wir nicht. Eltern rate ich deshalb, den Medienkonsum der Kinder auf ein notwendiges Minimum zu beschränken.

pressetext: Danke für das Gespräch!


Dieser Artikel wurde von pressetext.austria veröffentlicht und ist unter http://www.pressetext.com/news/20120818003 abrufbar.

Freitag, 10. August 2012

Kaiserschnitt verzögert Gehirnentwicklung

Kurz- und Langzeitgedächtnis profitieren von normaler Geburt

Schwangere und Neuronen: Geburt beeinflusst Entwicklung
(Bild: Yale/Helfenbein)

New Haven/Madrid/Berlin (pte018/10.08.2012/13:55) - Für das Gehirn des Neugeborenen macht es einen Unterschied, ob es das Licht der Welt per normaler Geburt oder infolge eines Kaiserschnitts erblickt. Vaginalgeburten sorgen für die Expression eines Proteins, das die Entwicklung des Hippocampus bis hin zu dessen Funktionstüchtigkeit im Erwachsenenalter verbessert, zeigen Forscher vom Madrider Instituto Cajal sowie der Yale School of Medicine in der Zeitschrift PloS ONE.

Schlüssel zur Neuronenbildung

Die Forscher um Tamas Horvath untersuchten die Auswirkungen einer natürlichen und operativen Geburt auf das Protein UCP2 (Mitochondrial uncoupling protein 2). Dieses bestimmt die Entwicklung der Neuronen und deren Netzwerke im Hippocampus, der für das Kurz- und Langzeitgedächtnis zuständigen Gehirnregion. UCP2 spielt zudem beim zellulären Stoffwechsel von Fett aus der Muttermilch mit, weshalb die Ausschüttung des Proteins bei der natürlichen Geburt den Übergang zum Stillen erleichtern dürfte, vermuten die Forscher.

Die Vaginalgeburt löst die Expression des UCP2 bei den Neuronen im Hippocampus aus, ermittelten die Forscher durch Experimente an Labormäusen, während dieser Prozess nach einer Sektio-Geburt nur abgeschwächt stattfand. Wurde das UCP2-Gen ausgeschaltet oder die Funktion des Proteins chemisch unterbunden, so beeinflusste dies die Ausdifferenzierung der Neuronen und Netzwerke im Hippocampus und schädigte auch das Verhalten im Erwachsenenalter, sofern es mit dieser Gehirnregion in Verbindung stand.

"Die Ergebnisse zeigen eine potenziell entscheidende Rolle von UCP2 in der Entwicklung von Netzwerken im Gehirn und daraus folgender Verhaltensweisen", sagt Horvath. Bewahrheitet sich die Annahme, wäre das ein brisantes Ergebnis, nehmen doch weltweit Kaiserschnitte, die nur aus Bequemlichkeit statt aus medizinischer Notwendigkeit durchgeführt werden, drastisch zu. "Dieser Trend könnte nachhaltige Folgen auf das mensch­liche Gehirn haben, die bisher völlig übersehen wurden", so der Mediziner.

Auch Atmung und Stoffwechsel beeinträchtigt

"Mäuse liefern bei vielen Krankheitsbildern sowie für die Gehirnentwicklung ein Modell, das mit über 90-prozentiger Treffsicherheit auch beim Menschen zutrifft. Vieles im Nervensystem läuft identisch ab", erklärt die Berliner Genforscherin und Entwicklungsbiologin Carmen Birchmeier-Kohler im pressetext-Interview. Aus­wirkungen der Geburtsform sind auch auf das Kleinhirn bekannt. "Tiere, die nicht durch den normalen Geburtsvorgang geboren wurden, hatten später ein unreifes Atmungszentrum."

Nachteilige Wirkung der Schnittgeburt auf die Atmung - speziell bei Frühgeborenen - sind jedoch auch für die Lunge dokumentiert (pressetext berichtete: http://bit.ly/MGcPfE). Fachexperten erklären diesen Effekt unter anderem durch den Wegfall der Resorption der Lungenflüssigkeit, die sonst bei einer Spontangeburt durch die Wehen begünstigt wird. Weitere aktuelle Studien deuten darauf, dass Kaiserschnitt-Entbundene im späteren Lebensverlauf ein höheres Adipositas-Risiko ausgesetzt sind (siehe: http://bit.ly/OPiVGa).

Originalstudie unter http://bit.ly/MXVVEI


Dieser Artikel wurde von pressetext.austria veröffentlicht und ist unter http://www.pressetext.com/news/20120810018 abrufbar.