Dienstag, 29. November 2011

Pianisten: Gehirn verarbeitet Sprache nicht besser

Musizieren hilft jedoch bei Auswertung mehrfacher Sinnesreize

Klavier: Musiker nehmen Fehler nur bei Musik wahr
(Foto: pixelio.de, baxel)

Tübingen (pte013/28.11.2011/12:00) - Wie Menschen mit den Sinnen Signale des Gehirns zeitlich verknüpfen, hängt von ihrer sensomotorischen Erfahrung ab. Das haben zwei Forscherinnen des Max-Planck-Instituts für biologische Kybernetik in Tübingen bei einer Vergleichsstudie mit Musikern und Nichtmusikern zur gleichzeitigen Reizver­arbeitung aus mehreren Sinnen im Gehirn festgestellt. Bei Klavierspielern weiß man, dass sie über die Jahre ein präzises Gespür dafür entwickeln, wie die Tasten­bewegungen und Töne zeitlich zusammenhängen. Ob aber Lippenbewegungen und Sprache synchron zueinander sind, können sie nicht besser beurteilen als Nichtmusiker.

Geschultes Gehör merkt Fehler

"Wir fanden heraus, dass Pianisten deutlich genauer als Nichtmusiker merken, ob die Fingerbewegungen am Klavier und die gehörten Töne in der zeitlichen Abfolge übereinstimmten oder nicht", sagt Forscherin HweeLing Lee gegenüber pressetext. Danach ruft bei Pianisten die Wahrnehmung asynchroner Musik und Handbewegungen verstärkte Fehlersignale in einem Schaltkreis zwischen Kleinhirn, prämotorischen und assoziativen Hirnarealen hervor. Allerdings zeigen sich diese Unterschiede bei den Experimenten mit gesprochenen Sätzen und Lippenbewegungen nicht.

Obwohl Asynchronizität bei Sprache und Musik im Gehirn die gleichen Bereiche aktiviert. "Die Reizverarbeitung im Gehirn der Klavierspieler deutet auf einen kontextspezifischen Mechanismus hin: Durch das Üben am Klavier wird im Schaltkreis von Kleinhirn und prämotorischer Großhirnrinde ein Vorwärtsmodell programmiert, das der Person sehr viel präzisere Vorhersagen über den korrekten zeitlichen Ablauf der Seh- und Hörsignale ermöglicht", erklärt MPI-Forscherin Uta Noppeney.

18 Pianisten gegen 19 Nichtmusiker

Ein asynchroner Reiz meldet also einen Fehler bei der Vorhersage. Die Forscherinnen sehen dies als wichtigen Hinweis, wie das Gehirn allgemein plastisch auf sensomotorische Erfahrungen reagieren kann. Ob Pianisten bei der Beurteilung von Geigenmusik ähnlich gut abschneiden würden, wissen die Forscherinnen noch nicht. "Der nächste Untersuchungsschritt bei der Verarbeitung mehrfacher Sinnesreize im Gehirn muss sein, dass wir die Studienteilnehmer selbst gezielt trainieren, um die Effekte genauer zu untersuchen", sagt Noppeney.

In der Studie haben die MPI-Wissenschaftlerinnen verglichen, wie gut 18 Amateurpianisten gegenüber 19 Nichtmusikern die zeitliche Übereinstimmung einerseits von Fingerbewegungen auf der Tastatur und einer Melodie beziehungsweise andererseits von Lippenbewegungen und gesprochenen Sätzen wahrnehmen können. "Für diese Studie haben wir uns zunutze gemacht, dass die Pianisten seit vielen Jahren speziell diese Tätigkeit trainieren, bei der mehrere Sinnesreize, nämlich Seh- und Hörinformationen, Bewegung und die Berührung der Klaviertasten verbunden werden müssen", erklärt Noppeney.


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Hirnforscher: "Menschheit ist nicht zu dumm"

Gesellschaftliche Versteifung auf Intelligenz birgt Gefahren

Klüger als wir: IQ als alleiniger Maßstab ist gefährlich
(Foto: Spektrum Verlag)

Münster (pte005/29.11.2011/06:15) - Die Intelligenz an sich sowie Techniken, die zu mehr Intelligenz verhelfen sollen, stehen in unserer Gesellschaft hoch im Kurs. Doch weder sind die Fortschrittsversprechen der Wissenschaft bisher einge­troffen, noch besteht tatsächlicher Bedarf für eine künstliche Erhöhung der Intelligenz. Das behauptet der Arzt, Hirnforscher und IT-Spezialist Thomas Grüter in seinem Buch "Klüger als wir? Auf dem Weg zur Hyperintelligenz". Gegenüber pressetext erklärt der Experte, warum Skepsis angebracht ist.

Hype ohne konkrete Erfolge

"Es gibt eindeutig einen Markt für intelligenzsteigernde Mittel", betont Grüter. Chemische "Neuroenhancer", auch "Gehirn­doping" genannt, fallen darunter, jedoch auch Ansätze, bei denen man das Gehirn ähnlich wie bisher schon bei Parkinson-Patienten oder bei Cochlearimplantaten stimulieren will. Hoch im Kurs sind zudem Simulationen des Gehirns im Computer, wie etwa das Leuchtturm-Projekt "Human Brain" vorzeigt: Immer­hin hat es die Ankündigung, das menschliche Gehirn im Computer nachzubilden, in die Endausscheidung im Rennen um die EU-Forschungsmilliarde geschafft.

Die meisten Jubelmeldungen sind jedoch zu hoch angesetzt, kommt Grüter zum Schluss - unisono mit einem aktuellen Bericht der TA Swiss (pressetext berichtete). "Im Nachbau scheiterte man bisher schon beim Ratten­hirn. Pillen, die intelligenter machen, gibt es nicht, sondern bloß Aufmerksamkeits-Förderer wie Ritalin oder Amphitamine, doch auch hier übersteigt die Wirkung nie jene von starkem Kaffee. Falsch sind derartige Ansätze deshalb, da es weder eine 'Intelligenzbremse' im Gehirn gibt, die man bloß beseitigen muss, noch ein einzelnes Intelligenz-Gen."

Grenzen des Messbaren

Vielmehr könnte die künstliche Steigerung der Gehirnfunktion auch Gefahren mitbringen, warnt der Forscher, wobei er Parallelen zur menschlichen Evolution zieht. "Einiges spricht dafür, dass der Mensch erst durch sein größeres Gehirnvolumen für bipolare Störungen und Schizophrenie anfällig wurde. Wird das sorgfältig aus­balancierte Gleichgewicht des Gehirns gestört, könnte sich das Risiko für Geisteskrankheiten erhöhen." Viel eher denkbar sei ein nebenwirkungsfreies Hochschrauben der Gehirnleistung durch ständiges Training wie im Sport.

Vor der Machbarkeit sei jedoch die Grundabsicht der Intelligenzsteigerung zu hinterfragen, betont Grüter. Denn so hoch auch die Intelligenzmessung über PISA-Studien im Kurs steht und immer mehr zum wichtigsten Maßstab für Schulsysteme wird, so beschränkt sei deren Aussagewert. "Erhoben werden hier nur die zählbaren Einzel­posten der Gehirnleistung, die jedoch kaum den späteren Erfolg im Beruf und Leben vorhersagen. Dasselbe gilt auch für die zahlreichen Assessment-Bewerbungstests in Großunternehmen, die gegenüber dem Abiturzeugnis kaum Mehrwert bringen."

Intelligenz kann schaden

Tugenden wie Tapferkeit, Treue, Weisheit und Demut bringen kein Ansehen mehr, während Intelligenz über­mäßig wichtig ist: Das beklagte der Philosoph Hans Magnus Enzesberger 2008 in einem Essay über die Intelligenz. Grüter stimmt ihm zu, denn: "Führungsqualität sowie gesellschaftlich wichtige Werte wie Fleiß, Beharrlichkeit oder Ritterlichkeit werden von IQ-ähnlichen Erhebungen nicht erfasst."

Die zunehmende Versteifung auf die Intelligenz sei deshalb eine Fehlentwicklung, betont der Autor. "Der Menschheit fehlt es eindeutig nicht an Intelligenz, um ihre großen Herausforderungen zu meistern, sondern an Vernunft, Weisheit, Einsicht und Augenmaß. So lange man die Intelligenz nur für den eigenen Vorteil nutzt, ist diese sogar schädlich."


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Montag, 21. November 2011

Türen machen vergesslich

Gehirn löscht beim Verlassen des Raumes Informationen

Türschnalle: Anderer Raum, andere Epispde für das Gehirn
(Foto: Flickr/Zvan)

Indiana/Düsseldorf (pte015/21.11.2011/12:20) - Die Frustration, beim Betreten eines Raumes zu ver­gessen, was man gerade suchen oder tun wollte, kennen viele aus dem Alltag. US-Psychologen liefern nun eine Erklärung für dieses Phänomen. "Türen sind wie Grenzen, die unser Denken in Ereignisse untergliedern. Durchschreitet man sie, trennt unser Gehirn seine Aktivität in Episoden und räumt dabei auch Informationen weg. Deshalb ist es schwieriger, sich in einem anderen Raum zurückzuerinnern", sagt Studienleiter Gabriel Radvansky von der Notre Dame Universität.

Die Forscher stellten ihren Versuchspersonen Er­innerungs­aufgaben, bei denen sie entweder durch eine Tür zu gehen oder dieselbe Strecke im gleichen Raum zurückzulegen sollten. Egal, ob es sich um virtuelle oder reale Räume handelte: Nach dem Durchschreiten der Tür waren die Gedächtnislücken viel größer, berichten die Forscher in der Zeitschrift "Quarterly Journal of Experimental Psychology".

Zurückgehen hilft

Teils lässt sich das Phänomen auch durch "Kontexteffekte" erklären, wie der Düsseldorfer Psychologe Axel Buchner gegenüber pressetext schildert. "Was man im Raum A lernt, kann dort viel besser abgerufen werden als im Raum B. Denn wenn man etwa vor einer Vokabelliste sitzt, merkt sich das Gehirn außer dem zu lernenden Wort auch den Kontext. Die orange Wand, die weiße Decke oder der grüne Bleistift werden zu Hinweisen, ohne denen ein späterer Abruf der Vokabel erschwert ist."

Beim Vergessen im Alltag hilft es oft, in den Originalkontext des Raumes zurückzugehen, in dem der entschwundene Gedanke entstand. Für Tests in der Schule oder im Hörsaal ist das freilich keine Option. "Teilweise reicht es aber auch schon, sich die Umgebung beim Lernen nur vorzustellen", so Buchner. Radvanskys Erkenntnisse gehen allerdings über die bereits länger bekannte Kontextwirkung hinaus: Nicht alle verlorenen Informationen lassen sich bei der Rückkehr in den Ausgangsraum wiederfinden, konnte er nun zeigen.

Abstract des Originalartikels unter http://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/21563019


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