Mittwoch, 13. Juni 2012

Klavierspielen lässt graue Gehirnzellen wachsen

Geschicklichkeit schon nach zehnmal Üben verbessert

Klavierüben: gut für das Gehirn
(Foto: Flickr/Kim)

Mailand/Prag/Dresden (pte001/13.06.2012/06:00) - Schon zwei Wochen regelmäßiges Klavierüben reichen, um der grauen Substanz im Gehirn einen Entwicklungsschub zu verpassen: Beide Gehirnhälften arbeiten besser zusammen und die Geschicklichkeit steigt, berichten italienische Forscher auf dem Europäischen Neurologenkongress in Prag. "Zehn Tage fachgeleitetes Fingerüben am Klavier lösen bereits Veränderungen der kortikalen Plastizität aus", sagt Studienleiterin Elise Houdayer vom Krankenhaus San Raffaele in Mailand.

Lernen durch Aufgaben

Unser Gehirn ist "neuroplastisch" und wächst mit Herausforderungen: Selbsttätig gestaltet es sich so um, dass seine Struktur und Organisation den jeweiligen Anforderungen am besten entspricht. Häufig genutzte Gehirnregionen vernetzen sich dabei besser, während Ressourcen von weniger genutzten Bereichen abgezogen werden. Wie die italienischen Forscher nun zeigen konnten, sind Musikübungen ein besonders wirksamer Katalysator, um die Selbstoptimierung bestimmter Gehirnleistungen anzuregen.

Stärkung der schwachen Hand

Zwölf Testpersonen ohne musikalische Vorerfahrung trainierten dazu 35 Minuten pro Tag ihre beidhändige Fingergeläufigkeit auf einem Keyboard. Tests der Bewegungsfunktion vor und nach zwei Übungswochen zeigten, dass die Probanden besonders in ihrer "schwachen" Hand motorisch geschickter wurden - Rechtshänder etwa in der linken Hand. Zudem deuten Bildgebungen (EEG und TMS) darauf, dass die Gehirnhälften in Folge besser kooperierten. Laut Houdayer dürften dieselben plastischen Änderungen in der Großhirnrinde auftreten, die man von Berufsmusikern kennt.

Mailänder Kollegen um Massimo Filippi liefern einen ähnlichen Nachweis: Ihre ebenfalls musikalisch unerfahrenen Testpersonen wurden geschickter und vergrößerten die graue (nicht aber die weiße) Substanz des Gehirns, indem sie in zehn Sitzungen Tonfolgen auf einer Tastatur mit vorgegebenen Rhythmen nachspielten. Wie die Forscher nachweisen konnten, fiel der Gehirnumbau und Lerneffekt bei jenen am stärksten aus, denen man die komplizierteste Aufgabe gestellt hatte.

Zusätzliche Gehirnwindung

Beim Musizieren werden verschiedene Sinnesebenen - Sehen, Hören und Tasten - gemeinsam angesprochen. "Durch die gleichzeitige Aktivierung der zuständigen Gehirnareale entstehen neue Verbindungen", berichtet Marc Bangert vom Institut für Musikermedizin an der Hochschule für Musik Dresden im pressetext-Interview. Schon 2003 hat Bangert dargelegt, dass geübte Pianisten ihre Hörareale auch dann aktivieren, wenn sie eine stumme Klaviertastatur bespielen. Umgekehrt sind bei ihnen die Fingermotorik-Areale aktiv, wenn sie Klänge hören - "ihre Finger jucken", wie es der Neurowissenschaftler formuliert.

Derartige Effekte kommen tatsächlich durch Training zustande, erklärt Bangert: "Schon die erste 20-minütige Klimperübung absoluter Nichtmusiker löst funktionelle Änderungen aus. Bei wiederholtem Training geht es nicht nur um Reflexe, sondern um ein strukturelles Wachsen von Faserbündeln." Bei Berufsmusikern ist das ganze Gehirn entsprechend umgebaut. "Bei Konzertpianisten könnte man die zusätzliche Gehirnwindung für die Feinmotorik der rechten Hand, bei Geigern jene der linke Hand auch mit bloßem Auge erkennen", berichtet der Dresdner Forscher.

Abstracts der Präsentationen unter http://bit.ly/NuQAIc, http://bit.ly/NuQArx und http://bit.ly/L350h9


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Freitag, 8. Juni 2012

Kopfstehende Dreiecke sieht man am schnellsten

Geometrische Form beschreibt Gefahrensignale des Gesichts

Gesicht: Evolution bestimmt Dreiecks-Wahrnehmung
(Foto: Flickr/Baldacchino)

Warwick/Dortmund (pte001/08.06.2012/06:00) - Bösewichte in Comics und Zeichentrickfilmen erkennt man auf den ersten Blick: An den zur Gesichtsmitte hin gespitzten Augenbrauen oder an ihrer spitzen Kinnform. Beide Gesichtsmerkmale beschreiben ein nach unten spitzes Dreieck. Genau diese geometrische Form ist jene, die Betrachter am schnellsten wahrnehmen, berichten Forscher in der Fachzeitschrift "Emotion". "Ein 'negatives Dreieck' nimmt man rund 20 Millisekunden schneller wahr als ein anders orientiertes Dreieck", berichtet Studienleiter Derrick Watson von der Universität Warwick im pressetext-Interview.

Figur für Blitzerkennung

Die Forscher zeigten Versuchspersonen am Computer Bilder von Gesichtern mit positivem, negativem und neutralem Ausdruck, sowie auch Dreiecke, deren Spitze nach oben, unten, rechts und links zeigten. Dass die negativen Gesichter am schnellsten gesehen wurden, konnte man bereits aus früheren Studien vermuten, die etwa gezeigt haben, dass sie beim Anblick einer Menschenmenge als erstes ins Auge fallen. Zur Überraschung der Forscher wurden jedoch auch manche Dreiecke auf dieselbe Weise wahrgenommen - und zwar nur jene, die nach unten gespitzt waren. Zudem bewerten die Betrachter diese Form negativer als andere.

Den Vergleich mit Merkmalen zorniger oder trauriger Gesichter sieht Watson als eine mögliche Erklärung, warum "negative" Dreiecke derart schnell wahrgenommen werden. Konsequenzen habe dies durchaus - etwa für das Design. "Einiges spricht dafür, dass nach unten spitze Dreiecke die Aufmerksamkeit am besten fesseln. Dass dadurch ebenso negative oder gar bedrohliche Gefühle ausgelöst werden könnten, scheint eher nicht der Fall zu sein", sagt der Forscher.

Gehirn auf Gefahr gepolt

"Die Evolution hat das Gehirn dahingehend optimiert, dass es Feindesgesichter als erstes wahrnimmt. Nur so kann der Mensch bei Gefahr schnellstmöglich mit Flucht oder Aggression reagieren", erklärt Patrick Gajewski, Kognitionspsychologe am Leibnitz-Institut für Arbeitsforschung an der TU Dortmund, im pressetext-Interview. Aufgrund der hohen Bedeutung für das einstige Überleben haben auch Gesichter grundsätzlich - egal ob von Mensch oder Tier - bei der Wahrnehmung eine Sonderstellung und werden in einer speziellen Gehirnregion - dem fusiformen Gesichtsareal im parietookzipitalen Teil - verarbeitet, so der Dortmunder Wissenschaftler.

Download der Studie unter http://bit.ly/LPZ32R


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